Täglich neue Entwicklungen, Informationen & Co. sorgen dafür, dass auch der Finanzbereich nie stillsteht. Damit die rechtlichen Rahmenbedingungen aber dennoch den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Anforderungen Genüge tun – braucht es auch hier Revisionen. Und genau eine solche Revision steht in Kürze dem Aktienrecht bevor. Während Neuregelungen wie die Geschlechterquote bei börsenkotierten Unternehmen und die Transparenzvorschrift für Rohstoffunternehmen bereits seit 1. Januar 2021 gültig sind – tritt ein Grossteil der Änderungen mit dem 1. Januar 2023 in Kraft. Durch das revidierte Aktienrecht kommt es zu Änderungen beim Handling von Kapitalverlust und Überschuldung.
Kapitalverluste & Überschuldung
Vorübergehend rote Zahlen beziehungsweise Verluste zu schreiben, ist für viele Unternehmen Realität. Besonders bei Gründung eines Unternehmens oder als Folge einer Inflation steht diese Möglichkeit im Raum. Damit Gläubiger bestmöglich geschützt sind, regelt das Schweizer Obligationsrecht in Artikel 725, wie Unternehmen sich in einer Verlustsituation zu verhalten haben. In der Aktienrechtsreform werden Situation und Massnahmen von notleidenden Unternehmen erneut unterteilt.
- Art. 725 nOR – drohende Zahlungsunfähigkeit
- Art. 725 nOR – Kapitalverlust
- Art. 725 nOR – Überschuldung
- Art. 725 nOR – Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen
Mitgliedern des Verwaltungsrats ebenso wie Unternehmensinhabern wird nahegelegt, sich mit den vorgeschriebenen Abläufen vertraut zu machen. Bei Missachtung der Neuerungen droht diesen nämlich eine Verantwortlichkeitsklage nach Art. 754 ff. OR.
Im Zusammenhang mit Kapitalverlusten und Überschuldung, gibt es vier Bereiche, mit denen sich Verantwortliche näher auseinandersetzen sollten. Im Folgenden haben wir die wichtigsten Änderungen für Sie zusammengefasst.
Pflichten des VR bei drohender Zahlungsunfähigkeit
Bis Ende 2022 schreibt das Recht dem Verwaltungsrat (VR) erst bei einem Kapitalverlust eine konkrete Handlungspflicht vor. Mit 2023 ändert sich das. Das revidierte Aktienrecht besagt, dass der Verwaltungsrat zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit einer Gesellschaft beziehungsweise bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Handlung mit gebotener Eile verpflichtet ist (Art. 725 nOR). Sanierungsmassnahmen, die darüber hinausgehen – müssen der Generalversammlung (GV) nur dann unterbreitet werden, wenn diese in deren Zuständigkeitsbereich fallen. Dies betrifft zum Beispiel eine Kapitalerhöhung. Der Gesetzgeber weist in diesem Zusammenhang zudem explizit auf eine Nachlassstundung hin.
EXKURS: Was meint „mit gebotener Eile“?
Hierbei geht es um die vom Bundesgericht entwickelte Praxis zum Konkursaufschub. Dabei wird dem VR die benötigte Zeit für die Schaffung von Sanierungsmassnahmen und ggf. der Vorlage dieser vor dem GV eingeräumt – sofern begründete Aussicht auf wirksame und ausreichende Massnahmen besteht. Wird diese Möglichkeit nicht ergriffen, besteht kein Grund zur Verzögerung und der VR hat wie bisher unverzüglich zu handeln.
Einberufung einer Sanierungsgeneralversammlung
Decken die Aktiven abzüglich der Verbindlichkeiten nicht zumindest die Hälfte der Summe aus Aktienkapital, gesetzlicher Gewinnreserven und nicht an Aktionäre zurückbezahlbarer gesetzlicher Kapitalreserven – so hat der Verwaltungsrat Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts zu ergreifen. Ob dieser Umstand vorliegt, wird der letzten Jahresrechnung entnommen. Bis Ende des Jahres 2022 war der VR eines Unternehmens dazu verpflichtet, im Falle eines hälftigen Kapitalverlustes unverzüglich eine Generalversammlung einzuberufen. Mit dem revidierten Aktienrecht wird diese rechtliche Vorschrift ab 2023 aufgeweicht. Dabei gilt, dass die Einberufung einer Sanierungsversammlung nicht mehr zwingend notwendig ist, sofern die Massnahmen nicht in der Kompetenz des GV liegen.
Im Gegensatz dazu muss eine Gesellschaft ohne Revisionsstelle (mit Opting-out) bei einem hälftigen Kapitalverlust in Zukunft ihre letzte Jahresrechnung einer eingeschränkten Revision unterziehen (Art. 725a Abs. 2 nOR). Der zugelassene Revisor wird in einem solchen Fall vom Verwaltungsrat ernannt. Eine Revisionspflicht kann auch entfallen, wenn der VR ein Gesuch auf Nachlassstundung einreicht.
Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts
Die Aktienrechtsrevision sorgt auch für mehr Klarheit bei der Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts. Während bislang unklar war, ob dafür 50 % der gesamten oder nur die gesperrten gesetzlichen Reserven berücksichtigt werde, schafft die Revision hier Klarheit. Ein hälftiger Kapitalverlust liegt ab 2023 vor, wenn bei der letzten Jahresrechnung die Hälfte des Aktienkapitals, Partizipationskapitals und der Nicht-ausschüttbaren-gesetzlichen-Reserven nicht gedeckt ist. So ist in Zukunft klar, dass nur die nicht ausschüttbaren gesetzlichen Reserven berücksichtigt werden müssen (Art. 725a Abs. 1 nOR).
Frist zur Überschuldungsanzeige
Wie eine Überschuldung definiert wird, ändert sich auch mit der Aktienrechtsrevision nicht. Was sich jedoch ändert, ist, dass der Zwischenabschluss bei der Vermutung einer Überschuldung nur dann zu Fortführungs- und Veräusserungswerten erstellt werden muss, wenn die Fortführung erwartet wird. Gilt diese Annahme nicht, kann der Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten erstellt werden. Gilt die Annahme schon, kann auf den Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten verzichtet werden.
Der VR lässt die Zwischenabschlüsse im Weiteren von einer Revisionsstelle – sofern vorhanden – oder von einem zugelassenen Revisor prüfen. Nach Überprüfung des Zwischenabschlusses muss die Überschuldungsanzeige dem Gericht innerhalb von 90 Tagen vorlegen. Auf die Vorlage kann nur dann verzichtet werden, wenn innerhalb dieses Zeitraums Aussicht auf die Behebung der Überschuldung besteht.
In diesem Zusammenhang sollte auch berücksichtigt werden, dass auf Basis des neuen Aktienrechts eine Überschuldungsanzeige durch Rangrücktritt nur dann abgewendet werden kann, wenn Gläubiger sowohl die Darlehensverbindlichkeiten als auch die verfallenen und zukünftigen Zinsen unterordnen.